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AutorenbildKirchentaler-Berggeist

Die Winterstille von Maria Kirchental

Der Winter hatte das Pinzgau fest in seinen sanften, weißen Mantel gehüllt. Es war Dezember 2024, und der Schnee lag so tief, dass selbst die alten, knorrigen Zirbenbäume unter ihrer Last seufzten. Die Luft war klar und kalt, und der Wind trug den Duft von Holzfeuern und das Klingen von Kirchenglocken durch die Täler. Es war eine Zeit der Erwartung, denn mit dem neuen Jahr würde auch das Heilige Jahr 2025 beginnen, ausgerufen von Papst Franziskus. In den Herzen vieler Menschen keimte die Sehnsucht nach Frieden, nach Neuanfang – und nach der besonderen Gnade, die ein Heiliges Jahr mit sich bringt.


Im kleinen Weiler St. Martin bei Lofer bereitete man sich besonders auf diese Zeit vor. Im Zentrum der winterlichen Besinnung stand die Wallfahrtskirche Maria Kirchental, die seit Jahrhunderten als “Pinzgauer Dom” bekannt war. Eingebettet in die majestätische Stille der Berge war sie ein Ort der Zuflucht für Pilger und Einheimische gleichermaßen. In dieser besonderen Zeit sollten die Tore der Kirche Tag und Nacht offenstehen, um den Menschen Trost und Hoffnung zu spenden.


Eine Reise der Versöhnung


An einem dieser kalten Wintertage machte sich der 68-jährige Josef Mayrhofer auf den Weg nach Maria Kirchental. Josef war ein Pinzgauer Urgestein, ein Mann, der die raue Bergwelt und die Traditionen seiner Heimat in sich trug. Doch tief in seinem Herzen trug er auch eine Last: Seit vielen Jahren hatte er keinen Kontakt mehr zu seinem jüngeren Bruder Andreas. Ein alter Streit, dessen Ursprung beide längst vergessen hatten, hatte sie entzweit.


Die Nachricht vom Heiligen Jahr und der damit verbundenen Möglichkeit der Versöhnung hatte Josef in den letzten Wochen nicht losgelassen. Schließlich hatte er sich entschlossen, den langen Weg von Saalfelden nach Maria Kirchental auf sich zu nehmen – zu Fuß, wie es die alten Pilger taten.


Der Weg war beschwerlich. Der Schnee knirschte unter seinen schweren Stiefeln, und der eisige Wind biss ihm ins Gesicht. Doch mit jedem Schritt spürte Josef eine innere Wärme, die ihn vorantrieb. Er erinnerte sich an die alten Geschichten, die seine Großmutter ihm als Kind erzählt hatte – von den Pilgern, die mit brennenden Kerzen nach Maria Kirchental kamen, um ihre Sorgen abzugeben und neue Hoffnung zu schöpfen.


Die Nacht der Gnade


Als Josef schließlich die Wallfahrtskirche erreichte, war es Abend geworden. Die Kerzen in der Kirche warfen ein warmes, flackerndes Licht auf die kunstvollen Fresken und das Altarbild der Muttergottes. Der Geruch von Tannenzweigen und Weihrauch erfüllte den Raum, und eine tiefe Stille lag über allem.


Josef kniete sich nieder und sprach ein leises Gebet. Er bat um Vergebung – für sich selbst und für seinen Bruder. Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Als er sich umdrehte, stand Andreas dort, sein Bruder, den er so lange nicht mehr gesehen hatte. Ein leises Lächeln lag auf seinem Gesicht, und in seinen Händen hielt er ein altes Gebetsbuch, das einst ihrer Mutter gehört hatte.


“Ich habe dich erwartet, Josef”, sagte Andreas mit ruhiger Stimme. “Ich wusste, dass du kommst.”


Die beiden Männer umarmten sich, und es war, als würde die Schwere von Jahrzehnten von ihnen abfallen. In dieser Nacht der Versöhnung, unter dem Schutz der Muttergottes von Maria Kirchental, fanden die Brüder wieder zueinander.


Ein neues Licht


Als die Glocken der Kirche um Mitternacht das neue Jahr einläuteten, war es, als würde ein neues Licht die winterliche Dunkelheit durchbrechen. Pilger und Einheimische sangen gemeinsam alte Lieder, und das Tal von Lofer war erfüllt von einer Freude, die niemand so recht in Worte fassen konnte.


Josef und Andreas standen nebeneinander vor der Kirche und blickten hinauf zu den Sternen. “Vielleicht ist es das, was das Heilige Jahr wirklich bedeutet”, sagte Josef leise. “Nicht nur Frieden mit Gott, sondern auch mit denen, die uns am nächsten sind.”


Der Schnee begann erneut zu fallen, und die Welt schien in dieser Nacht ein wenig heller, ein wenig wärmer zu sein. Maria Kirchental war wieder einmal ein Ort geworden, an dem alte Wunden heilten und neue Hoffnung geboren wurde – ein wahrer Zufluchtsort im Herzen des Pinzgaus.



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